Schüler gedenken der Opfer der Reichspogromnacht im Jahr 1938

Am 10. November 1938 gaben die Nationalsozialisten deutschlandweit und auch im bereits wieder „angeschlossenen“ Österreich den Geheimbefehl zu Ausschreitungen gegenüber jüdischen Mitbürgern. Anlass zu dieser Aktion bot das Attentat des erst 18-jährigen Herschel Grünspan auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath in Paris. Die Gründe für das Handeln des bereits drei Jahre zuvor aus Deutschland geflohenen jüdisch gläubigen jungen Mannes waren lange im Unklaren. Heute geht man jedoch davon aus, dass die Ausweisung seiner Eltern etwas mit seinem Handeln zu tun hatten. Im Jahr 1938 hatten die Nationalsozialisten alle jüdischen Bürger mit deutscher und polnischer Staatsbürgerschaft ausgewiesen. Darunter befanden sich auch die Eltern Herschel Grünspans. Da der polnische Staat sich weigerte die Abgeschobenen aufzunehmen, mussten sie sich in den Grenzwäldern zwischen beiden Ländern versuchen durchzuschlagen. Grünspan begann daraufhin wohl eine sexuelle Beziehung mit dem Legationssekretär in Paris, um über diesen an Papiere für seine Eltern zu gelangen. Diese wurden ihm sehr wahrscheinlich auch für seine „Dienste“ versprochen. Als dann vom Rath sein Versprechen nicht mehr halten wollte, schließlich stand für ihn ja auch viel auf dem Spiel, denn Homosexualität war in Augen der Nationalsozialisten ein absolutes Tabu, schoss Grünspan in seiner Verzweiflung auf ihn.


Diesen „Anschlag“ und das wenige Tage spätere Ableben des Botschafts-mitarbeiters nahmen die in München versammelten Nationalsozialisten, dort wollten sie den sogenannten Hitler-Putsch feiern, zum Anlass, um reichsweit Aktionen gegen Juden und ihre Sympathisanten zu befehlen. In einer nicht überlieferten Rede des Propagandaministers Joseph Goebbels wurden die auf der Feier anwesenden Parteigenossen angewiesen, diesbezügliche Befehle an die ihnen unterstellten Behörden weiterzugeben.
Auch in Bingen kamen die Befehle an. Dort wurden Ingelheimer SA-Männer eingesetzt, um die Übergriffe durchzuführen. Man vertraute beim Vorgehen mit Absicht auf örtlich nicht bekannte Personen, um das Bild einer spontanen Volkserhebung zu unterstreichen. Jedoch zeigen Berichte der Geheimpolizei der SS, des SD (Sicherheitsdienst), dass die Mehrheit der Bürger wusste wer für die Ausschreitungen verantwortlich war.
Im Rahmen der Gedenkveranstaltung an der ehemaligen jüdischen Synagoge in der Rochusstraße, nahmen Schüler der Geschichts-AG teil, indem sie folgenden kurzen Text, der die damaligen Geschehnisse nachzeichnete, vorlasen:
Der AKJB (Arbeitskreis jüdisches Bingen) hatte bereits 2010 gefordert, die Binger Nazizeit zu erforschen. Mit dem Buch Bingen im Nationalsozialismus wurde im vorigen Jahr damit begonnen. In diesem Buch untersuchte die Historikerin, Frau Dr. Bernard, auch die Vorgänge um die Zerstörung der Binger Synagoge im Rahmen der sogenannten “Judenaktion“ im November 1938. Danach war der Ablauf wie folgt:
•    In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 drangen Unbekannte in die Synagoge ein und steckten Bänke mit einer brennbaren Flüssigkeit in Brand. Die Hausmeisterin Elisabeth Dunér und Karl Koppel löschten den Brand mit einem Schaumlöschgerät.

•    Nathan Loeb erstatte deshalb zwischen 5.30 und 6.00 Uhr Anzeige bei der Polizei, worauf die Kripobeamten Rust und Mehren verständigt wurden, die den Tatbestand - Brandspuren an einigen Bänken und in der Sakristei - an Ort und Stelle aufnahmen.


•    Um 8.00 Uhr verständigte Herr Loeb wieder die Polizei. Einige Unbekannte drangen erneut in die Synagoge ein.

•    9.00 Uhr erneute Brandstiftung an der Synagoge in der Rochusstraße. Tor und brennende Gegenstände liegen auf der Straße. Beginn der Demolierung der Synagoge in der Rochusstraße.

•    Die Zerstörung der Synagoge wird von der Binger SA-Führung im Zusammenwirken mit der Bürgermeisterei der Stadt Bingen sowie mit Unterstützung von Angehörigen des Gaswerks Bingen und der Firma Richtberg durchgeführt. Die Feuerwehr wird verständigt.


•    Das Löwenrelief wurde von dem beim Gaswerk beschäftigen Müller zerschlagen. Der Zionsstern wurde - angeblich im Auftrag der Stadtverwaltung – vom Dachdecker Karl Lahmer entfernt.

•    Im Laufe des Nachmittags wird in dieser Synagoge die Wohnung von Lehrer Weis zerstört.


•    Gegen 16.00 Uhr wird in der Synagoge Rochusstraße Brand gelegt und gegen 17.00 Uhr erfolgt Brandstiftung in der Synagoge Amtsstraße.

•    Gegen 22.00 Uhr trifft ein LKW mit SA-Männern aus Ingelheim, befehligt von dem ehemaligen Ingelheimer Rektor Adolf Mathes, ein. Sie demolierten Wohnungen von Juden, insbesondere die Wohnung der Weinhandlung Roos in der Mainzer Straße. Weitere Zerstörungen wurden von Herrn Rust und SS-Sturmbannführer Rütz unterbunden.


Auch in den kommenden Jahren wird sich die Schule an den Gedenk-veranstaltungen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis jüdisches Bingen beteiligen, um die damaligen schrecklichen Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.