30.04.2022

Schüler begeben sich auf Spurensuche auf dem der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang

Insgesamt 24 Schüler der Klasse 10c der Rochus-Realschule Bingen begaben sich mit ihrem Klassen- und Geschichtslehrer, Herrn Marcel Griesang, auf eine Fahrt zur ehemaligen NS-Eliteschule Vogelsang in der Eifel.  
Im Nationalsozialismus wurden die Kinder und Jugendlichen von Anfang an auf Adolf Hitler und seine Partei eingeschworen. Dies begann unmittelbar mit dem Antritt der Reichskanzlerschaft von Adolf Hitler am 30. Januar 1933. Die Kinder lernten dabei nur noch nationalsozialistisches Denken. Ihnen wurde der Hass gegenüber Juden und vielen anderen Gruppen, die nicht zur Volksgemeinschaft gehörten, beigebracht. Durch Jugendorganisationen, wie die Hitlerjugend oder den Bund deutscher Mädchen, versuchte man sie neben der Schule zu guten Nationalsozialisten zu erziehen. Während in allen Schulen dieses Denken vermittelt wurde, gab es auch spezielle Schulen für den zukünftigen Führungsnachwuchs. Diese Schulen nannte man Adolf-Hitler-Schulen (diese kosteten kein Schulgeld) und Napolas (Nationalpolitische- Lehranstalten; diese waren kostenpflichtig). Für die Lehrer zur damaligen Zeit konnte und durfte es nur einen Unterrichtsinhalt geben und der wurde von den Nationalsozialisten vorgegeben. Wer sich nicht daran hielt oder aufgrund seines politischen Denkens für die Nationalsozialisten als Gefahr galt, wurde entlassen. Eine Mitgliedschaft im NS-Lehrerbund war für alle Pädagogen nahezu unumgänglich.


Die Schulbücher der damaligen Zeit, so wurde den Schülern vor Ort mitgeteilt, wurden von den Nationalsozialisten komplett überarbeitet. In Geschichte sollte betont werden, wie stark das deutsche Volk doch schon seit der Zeit der Germanen gewesen sei. Inhalte, die nicht zum nationalsozialistischen Denken passten, wurden einfach weggelassen. Texte zu Adolf Hitler wurden in den Vordergrund gerückt. In Biologie stand die Rassenkunde und Vererbungslehre im Mittelpunkt. Hier sollte gezeigt werden, wie der gute und gesunde Arier aussehen sollte. Auf der anderen Seite sollte veranschaulicht werden, warum Menschen mit Behinderungen oder jüdische Menschen nicht zur Gemeinschaft gehören durften. Im Deutschunterricht wurde nur noch solche Literatur verwendet, die von „guten“ deutschen Schriftstellern angefertigt wurde. Tausende Werke von Schriftstellern, die den Nationalsozialisten nicht passten, wurden verboten und sogar vor aller Menschen Augen am 10. Mai 1933 auf großen Haufen verbrannt. Selbst in der Mathematik wurde das Denken der Männer um Adolf Hitler vermittelt, indem spezielle Aufgaben behandelt wurden. Demgemäß stellte man Aufgaben, die zeigen sollten wie hinterlistig die Juden doch seien oder wie viel Geld Menschen mit Behinderungen den Staat doch kosten würden ins Zentrum des Unterrichts.  
Auf der Ordensburg in Vogelsang, die eines der größten Bauwerke der Nazizeit war, wurde die Führungselite der Nationalsozialisten ausgebildet. Frauen waren dabei dort nicht gewollt. Sie sollten sich im Sinne der NS-Ideologie um Haus und Familie kümmern (sie sollten möglichst viele Kinder kriegen, um für weitere Soldaten und Arbeitskräfte/zukünftige Mütter zu sorgen).  Auf den Ordensburgen sollte die Elite des zukünftigen tausendjährigen Reiches herangezogen werden. Die Bauweise sollte dabei Respekt und Härte ausstrahlen. Die damaligen Schüler  (alle erst Anfang beziehungsweise Mitte zwanzig), die ganz im Sinne Adolf Hitlers, ihres Führers, gedrillt werden sollten, wurden Junker genannt. Sie hatten sich an ihren vorherigen Schulen und in ihrem Leben in speziellem Maße für die Ausbildung auf der Ordensburg ausgezeichnet. Es ging dabei nicht besonders um Schulnoten, diese waren den Nationalsozialisten überhaupt nicht wichtig, sondern um das nationalsozialistische Denken. Außerdem mussten die neuen Schüler der Ordensburgen verheiratet sein und bis mindestens ins 18. Jahrhundert arischer Abstammung sein (keine jüdischen Vorfahren, keine Vorfahren aus osteuropäischen Ländern, Menschen mit Behinderungen etc.).


Die Ausbildung der zukünftigen politischen Elite, so erfuhren die Schüler während ihres Aufenthalts, begann in Vogelsang 1936 nach einer nur zweijährigen Bauphase. Die jungen Männer, die in Vogelsang zur Schule gingen, hatten einen festen Tagesablauf. Ziel war es, sie zu treuen Nationalsozialisten zu erziehen, die ganz im Sinne ihrer Ideologie handelten ohne Fragen zu stellen und wenn nötig mit äußerster Härte gegen Feinde des Regimes vorgingen. Außer dieser Ordensburg gab es noch zwei weitere. Eine war in Sonthofen im Allgäu, während die andere in Krössinsee in Pommern lag. Es war dabei vorgesehen, dass die Junker in allen drei Schulen ausgebildet werden sollten. In Vogelsang sollte das Rassenbewusstsein geschult werden. Hier wollte man den jungen Menschen einschärfen, warum ihr Blut etwas Höherwertiges als das vieler anderer Menschen sei. In Pommern sollte der Charakter gestärkt werden und in Sonthofen die diplomatischen und verwaltungstechnischen Grundlagen vermittelt werden. Auch die militärische Schulung erfolgte in Sonthofen.
Keiner der hier geschulten jungen Männer sollte jedoch je in die ihm versprochene Position kommen. Als der erste Jahrgang die Schulen erfolgreich absolviert hatte, brach der 2. Weltkrieg aus und man benötigte Soldaten mehr denn je.
Nach Abzug der Ordensjunker brachte man in der riesigen Anlage gleich drei Adolf-Hitler-Schulen unter. Die rund fünfhundert Jugendlichen, im Alter zwischen 12 und 18 Jahren, waren handverlesen und stammten aus dem gesamten Reichsgebiet. Während ihrer Recherchen erfuhren die Schüler, dass die Motivation für den Besuch einer solchen NS-Eliteschule durchaus vielfältig sein konnte. So wurde einer der Jugendlichen nach Vogelsang geschickt, da er sich den Besuch eines höheren Gymnasiums nicht leisten konnte und sich auf diesem Weg eine erfolgreichere Zukunft versprach. Für wiederum andere Jugendliche, die aus einem den Nationalsozialisten wohlgesonnenen familiären Umfeld stammten, war es eine Ehre an einer Adolf-Hitler-Schule angenommen zu werden. In Vogelsang wurden die Adolf-Hitler-Schüler dann wie die älteren Ordensjunker in den Jahren zuvor zu treuen Nationalsozialisten erzogen, die durch sportliche Wettkämpfe und ideologische Schulungen auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet werden sollten. Besonders erstaunlich für die Schüler aus Bingen war dabei die übliche Praxis der damaligen Zeit, die Adolf-Hitler-Schüler bei Klassenarbeiten unbeaufsichtigt zu lassen. Dabei wusste man von Seiten der Lehrer, dass ein Abschreiben beim Nachbarn nicht erfolgen würde, denn dies galt als Eingeständnis der Schwäche. Sollte es dann doch einmal vorkommen, so ging aus den Quellen hervor, wurde der Jugendliche mit 14 Tagen Sprechverbot oder einer Tracht Prügel durch die Stubenkameraden von Seiten der Schule bestraft. Mit Heranrücken der Amerikaner Ende 1944 evakuierte man auch aufgrund schwerer Bombentreffer die Eliteschule.


Bis heute strahlt der Ort hoch über der Urft-Talsperre in der Nähe von Bonn Respekt und Macht aus. Obwohl er nie fertiggestellt wurde, kann man anhand der vorhandenen Gebäude die Wichtigkeit, die diesem Ort von Seiten der Nationalsozialisten zugedacht wurde, erahnen.
Wie sehr die Ordensjunker in Vogelsang im Sinne der neuen Machthaber in ihrem Denken verändert wurden, bestätigt die Tatsache, dass einige von ihnen später in den Ghettos, in den besetzten Gebieten Polens, keine Probleme damit hatten, die dort unter den schlimmsten nur vorstellbaren Umständen eingepferchten Menschen in den Tod zu schicken. Einige versahen ihre Dienste auch direkt in den Mordanstalten des Ostens und hatten überhaupt keine Hemmungen und Gefühle mehr. Viele andere ehemalige Schüler von nationalsozialistischen oder auch normalen Schulen, die kein Denken als das der Nazis in ihrem Leben kennengelernt hatten, opferten sogar ihr Leben im Kampf gegen die heranrückenden „Feinde“ am Ende des Zweiten Weltkrieges.

War den Schülern aus Bingen vor dem Besuch der ehemaligen NS-Ordensburgen noch relativ unklar gewesen, warum die Jugendlichen so eingenommen von den Ideen Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten waren, so wurde ihnen durch den Besuch dieses Ortes und der Beschäftigung mit diversen Lebensläufen einiges verständlicher. Demgemäß wurde ihnen deutlich, dass die Jugendlichen in ihrem Leben von Kindesbeinen an zu einem gewissen Denken erzogen wurden. Sie hörten die immer gleichen Inhalte in ihren Jugendvereinen (Hitlerjugend oder Bund deutscher Mädel; sonstige Vereine und Organisationen waren verboten worden) und auch in der Schule. Eine freie Meinungsbildung und ein Hinterfragen gewisser Dinge, waren so gar nicht möglich. Demgemäß zählte für sie nur Adolf Hitler und seine Partei und ein Leben ohne den Nationalsozialismus war fast nicht vorstellbar.
Die Schüler waren sich darin einig, dass der Besuch der ehemaligen Ordensburg eine sehr wertvolle Erfahrung und damit einhergehend auch eine Mahnung für die Zukunft ist.