Frau Henriette Kretz

Henriette Kretz berichtete den Schülern zunächst davon, dass sie bis zum Einmarsch der deutschen Truppen in Polen in behüteten Verhältnissen aufwuchs. Ihr Vater war ein angesehener Arzt und ihre Mutter, eine studierte Anwältin, kümmerte sich liebevoll um ihre Tochter. Henriette bekam zum ersten Mal einen Eindruck von den Kriegsgeschehnissen, als sie verwundete polnische Soldaten auf Lastwagen durch ihren Heimatort fahren sah. Sie konnte sich die bald folgenden Konsequenzen jedoch noch nicht ansatzweise ausmalen. Ihr Vater und ihre Mutter hatten jedoch schon von den antijüdischen Gesetzen in Deutschland gehört und beschlossen zusammen mit ihrer Tochter in den gemäß des Hitler-Stalin Paktes durch die Sowjetunion annektierten Teil Ostpolens zu fliehen. Dort waren sie jedoch nur bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Russland im Juni 1941 in vermeintlicher Sicherheit. Die folgenden Jahre sollten für die Familie zu einem dauernden Versteckspiel werden. Nachdem Henriette sich zunächst bei Bekannten ihres Vaters hatte verstecken können, wurde sie dort jedoch durch den Verrat eines Nachbarn von den deutschen Besatzern verhaftet. Man brachte sie ins örtliche Gefängnis, wo vor allem Frauen auf ihren Abtransport in eines der Vernichtungslager warteten. Henriette musste dort miterleben, wie ein gerade entbundenes Baby in die Zelle geworfen wurde. Sie gab den Frauen ihren Mantel, um dem Baby wenigstens etwas Wärme zu spenden. Sie berichtete den Schülern davon, dass sie zu Gott begann zu beten und sich schwor, das Baby für den Fall ihrer Rettung mit in die Freiheit zu schmuggeln. Als dann jedoch eines Tages die Zellentür geöffnet wurde und man ihren Namen rief, vergaß sie vor lauter Freude ihr Vorhaben. Nach dem Krieg sollte sie zu ihrer Freude erfahren, dass das Baby von damals den Krieg überlebt hatte.
Henriette konnte also das Gefängnis verlassen. Ihr Vater hatte wohl von ihrer Verhaftung erfahren und konnte, obwohl er im örtlichen Ghetto mit den übrigen noch verbliebenen Leidensgenossen zusammengepfercht worden war, über alte Kontakte, ihre Freilassung erwirken. Es waren ebenfalls alte Beziehungen, die ihnen eine weitere Flucht aus dem Ghetto vor einer möglichen Deportation ermöglichten. Die Familie kam so bei einem ukrainischen Feuerwehrmann unter, der sie im Kohlekeller versteckte. Diesen durften sie über Monate nicht verlassen und mussten zumeist in kompletter Dunkelheit in einer gebückten Haltung dort ausharren. Eines Tages teilte ihnen ihr Beschützer mit, dass sie auf den Speicher des Hauses umziehen könnten. Henriette konnte aufgrund der dauerhaft gebückten Haltung kaum noch aufrecht gehen und verspürte einen sofortigen Schwindel. Der Speicher wirkte auf sie geradezu wunderbar, da sie Tageslicht sehen und auch einen Blick in die Freiheit werfen konnte. Die vermeintliche Rettung schien aufgrund des Rückzuges der Wehrmachtstruppen auf breiter Front nahe. Eines Tages jedoch erschienen deutsche Soldaten im Haus und forderten die Herausgabe der jüdischen Familie. Wiederum hatte sie wohl ein Mitwisser verraten.  Die Soldaten gingen auf den Speicher und nahmen Familie Kretz fest. Später erfuhr Henriette, dass ihr Retter aufgrund der geleisteten Hilfe zusammen mit seiner Frau von den Deutschen erschossen worden war. Ihr Vater wusste im Moment der Festnahme genau, dass man sie zu einem Sammelplatz für weitere Transporte in eines der Vernichtungslager bringen würde. Er weigerte sich daraufhin den Soldaten weiter zu folgen und forderte sie dazu auf, sie dann bitte auch hier und jetzt zu erschießen. Henriette schilderte den Schülern, dass der Soldat sich zu ihm umdrehte und ihm erwiderte, dass er seinem Wunsch dann nachkommen werde. Als er die Pistole zog und auf die Familie richten wollte, ergriff Henriettes Vater seine Chance und griff ihn an. Er schrie seiner Tochter zu, einfach nur loszulaufen und sich nicht mehr umzudrehen. Dies tat Henriette dann auch. Sie verschwand in die Dunkelheit der Nacht und hörte nur noch zwei Schüsse. Unter anderem vernahm sie noch das Schreien ihrer Mutter und danach nur noch Stille. Innerhalb weniger Sekunden war Henriette zum Waisenkind geworden. Sie konnte den Schülern nicht mehr genau sagen wie lange sie gelaufen war. Irgendwann jedoch legte sie sich im Schutze einer Hecke zum Schlafen. Am nächsten Morgen dann packte sie zunächst die pure Verzweiflung. Sie wusste zunächst nicht wohin sie gehen sollte. Dann aber erinnerte sie sich an ein von Nonnen geführtes Waisenhaus, dessen Leiterin Patientin ihres Vaters war und der sie vertrauen konnte. Sie wurde dort aufgenommen und bis zum Einmarsch der roten Armee versteckt. Aus ihrer Familie hatte nur einer ihrer Onkel überlebt. Alle anderen wurden in der Zeit der Besatzung ermordet.
Auch in diesem Fall hörten die Schüler der Zeitzeugin andächtig und voller Bewunderung für ihre Stärke, die es zweifelsohne benötigt um über solch schreckliche Erlebnisse zu berichten  zu. 
Im Anschluss an das Gespräch mit Frau Kretz überreichte Herr Gundlach vom Freundeskreis Jüdisches Bingen, einer Delegation der Geschichts-AG, unter der Leitung ihres Lehrers Herrn Marcel Griesang, Frau Becker als Direktorin und Herrn Schmitt als Konrektor, eine Patenschaftsurkunde. Ziel ist es in Zukunft zusammen Projekte gegen Rassismus und Ausgrenzung zu verwirklichen. Bereits im zurückliegenden Schuljahr hatte man, etwa durch die Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht oder aber die Reinigung der Stolpersteine, eine Grundlage für die zukünftige Kooperation gelegt. In diesem Sinne ist es auch verständlich, das Hermann Josef Gundlach, als Vorsitzender des Freundeskreises jüdisches Bingen, die Patenschaft in der von der Schule angestrebten Mitgliedschaft im Netzwerk Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage übernehmen wird. An der Urkundenübergabe wirkte auch die Bildungsministerin Frau Dr. Stefanie Hubig mit, die zuvor schon am Gespräch mit Frau Kretz und den Schülern teilgenommen hatte.
Im Anschluss an die Urkundenübergabe verließ die Gruppe der Rochus-Realschule den Jakobsberg mit vielen wertvollen Erfahrungen im Gepäck. Dabei waren sich alle an der Planung und an den Gesprächen beteiligten Personen darin einig, dass solche Gespräche den Schülern bei ihrer eigenen politischen Findung in der Zukunft eine große Hilfe sein werden.
An dieser Stelle möchte die Schulgemeinschaft besonders Herrn Bauer vom Bischöflichen Ordinariat in Mainz für die Einladung auf den Jakobsberg danken. Ein weiterer Dank geht natürlich auch an die Zeitzeugen, die Ihre Erfahrungen mit den Schülern teilten und damit eine unschätzbar wichtiges Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung setzten. Ihre Erlebnisse haben dieses Treffen zu einer unbeschreiblich wertvollen Erfahrung für alle Beteiligten gemacht.

Herr Dr. Heidecker

Etwa 100 Schüler der 9. Klasse Berufsreife  und 10. Klassen hatten die Gelegenheit der Lebensgeschichte von Herrn Dr. Heidecker aus Bingen zuzuhören. Herr Dr. Heidecker wurde 1927 in der schlesischen Stadt Glogau geboren. Dort wuchs er als Sohn eines Ärzteehepaares auf. Das Zusammenleben mit den jüdischen Einwohnern beschrieb er den Schülern als sehr harmonisch. Viele jüdische Familien hatten einen ausgezeichneten Ruf und die jüdische Gemeinde im Gesamten gesehen einen großen Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt. So war eine außergewöhnlich hohe Zahl der Anwälte und Ärzte jüdischen Glaubens. Auch große Warenhäuser befanden sich in Händen jüdischer Familien.
Das Klima, so Herr Dr. Heidecker, änderte sich dann jedoch mit Machtantritt der Nationalsozialisten. Im Jahr 1934 sah er eine Gruppe Jugendlicher in blauen Uniformen durch die Straßen Glogaus ziehen. Als er seine Mutter fragte, wer diese denn seien, erwiderte sie ihm, dass es sich um eine Gruppe jüdischer Pfadfinder unter der Leitung des Lungenarztes Dr. Lindemann handele. Dieser war als Arzt sehr anerkannt und im Ort und weit darüber hinaus sehr beliebt gewesen. Ein Jahr später, Ende 1934, fragte die Mutter, ob sich ihr Sohn noch an Dr. Lindemann erinnern könne, denn dieser sei von Nationalsozialisten in den Wald gelockt und dort im Rahmen der Morde in Verbindung mit dem angeblichen Putschversuch der SA unter Ernst Röhm ermordet worden.
Auch von den Tätigkeiten der sogenannten Euthanasiemorde wusste der ehemalige Chef der chirurgischen Abteilung des Binger Krankenhauses den anwesenden Schülern zu berichten. So führte er aus, dass er als Junge auf dem Fahrrad Schriften der hohen Geistlichen der katholischen Kirche, wie etwa Clemens August von Galen, ausfuhr, in denen diese die Morde an Menschen mit Behinderungen anprangerten. Im vorherrschenden Klima der Angst, das auf die strengen Gesetze und die permanente Bespitzelung der Nazis zurückzuführen war, traute man sich nicht mehr diese offen zu verteilen.
Eine weitere Erinnerung Herr Dr. Heideckers hatte etwas mit den Geschehnissen im Rahmen der sogenannten Reichspogromnacht zu tun. Damals wurde ihnen in der Schule verboten zur Synagoge zu gehen. Diese stand zu diesem Zeitpunkt schon in Flammen. Die Nationalsozialisten, so der Zeitzeuge, wollten den Bürgern damals vorgaukeln, dass sich in diesen Tagen der Volkszorn gegen die jüdische Bevölkerung angeblich spontan ausgebreitet hatte. Dass dies nicht stimmte, war ihm jedoch auch als Jugendlicher direkt bewusst. So wusste die Mutter seines Freundes, die im unmittelbar neben der Synagoge gelegenen katholischen Krankenhaus wegen einer OP verweilte, den Jungen zu berichten, dass die Feuerwehr bereits Tage zuvor Brandschutzübungen durchgeführt hatte. Diese sollten verhindern, dass bei einer Brandlegung das Krankenhaus mit in Flammen aufging.
Eine weitere Begebenheit hatte auch mit den schrecklichen Tagen im November 1938 zu tun. Zu dieser Zeit schauten sich seine Eltern die Villa des jüdischen Rechtsanwalts Dr. Sally Jakobsohn an, da dieser sie zum Verkauf angeboten hatte. Dr. Heidecker konnte dabei hören, wie der Rechtsanwalt seinen Eltern die näheren Beweggründe für seine Entscheidung darlegte. Dieser hatte demzufolge abends Besuch von angeblichen Klienten erhalten. Das Klopfen an der Tür war für ihn zunächst nichts Ungewöhnliches gewesen, da er ein kleines Büro in seiner Villa unterhielt. Als er aber ohne Hintergedanken die Tür öffnete, drängten ihn die Besucher direkt in die Wohnung und begonnen ihn zu bedrohen und zu schlagen. Für den Rechtsanwalt war dies ein Ereignis, das ihm klar vor Augen führte, dass er und seine Familie Deutschland so schnell wie möglich verlassen mussten, bevor noch etwas Schlimmeres geschehen würde.
Von einem „schönen“ Ereignis, in Zeiten in denen es eigentlich Hohn ist von einem solchen zu sprechen, wusste er bezüglich seiner Eltern zu berichten. Diese waren, wie bereits erwähnt, beide als Ärzte tätig und gegen die Nationalsozialisten. So behandelten sie noch bis zum Schluss die zu diesem Zeitpunkt schon in sogenannten Judenhäusern eingesperrten jüdischen Bewohner Glogaus. Die Dankbarkeit gegenüber seinen Eltern war daher noch nach dem Krieg so groß, dass eine der früheren Patientinnen sich nach dem Krieg, nachdem sie das Martyrium diverser Konzentrationslager überstanden hatte, auf die Suche nach seiner Mutter machte, nur um ihr ihren Dank mitzuteilen.
Herr Dr. Heidecker unterstrich am Ende des 1. Teils seiner Ausführungen welch enormer geistiger und kultureller Verlust Deutschland durch die nahezu vollständige Vernichtung der jüdischen Bevölkerung widerfahren sei. So befanden sich alleine unter 14 schlesischen Nobelpreisträgern 6 jüdischen Glaubens. Auch einer der führendsten Ärzte im Bereich der Arbeit mit querschnittsgelähmten Menschen, Herr Dr. Johannes Guttmann, hatte Deutschland aufgrund seines Glaubens und der Zerstörung seiner Existenz verlassen müssen. Später dann trug er in England dazu bei, dass Menschen die bis zu diesem Zeitpunkt als hoffnungslose Fälle abgestempelt wurden, in erster Linie gelähmte englische Soldaten, wieder ein lebenswertes Leben führen konnten.
Ein zweiter Teil des Vortrags von Herrn Dr. Heidecker befasste sich mit seinen Erfahrungen als Flakhelfer bei der Luftwaffe und schließlich als Soldat bei der Wehrmacht.
Zuvor berichtete er den Jugendlichen noch davon, dass es zur damaligen Zeit unmöglich war sich den nationalsozialistischen Organisationen komplett zu entziehen. So kam es auch dazu, dass er, der streng gläubige Katholik, eines Tages auch ohne es zunächst zu realisieren der HJ beigetreten war. Dies spielte sich so ab. Am Morgen betrat der Lehrer die Klasse und forderte die Jugendlichen dazu auf ein Dokument zu unterzeichnen. Er teilte es den Schülern ohne weiteren Kommentar aus. Als die Schüler seiner Aufforderung nachgekommen waren, sammelte er die Papiere wieder ein und teilte seiner Klasse mit, dass sie nun alle Mitglieder der Hitlerjugend im Jungvolk seien.
Um sich den Heimatabenden und Aktionen so oft wie möglich zu entziehen, unternahmen seine Eltern vor allem an den Wochenenden viel mit den Kindern. So hatte er dann auch eine Ausrede für das Fernbleiben. Eine kleine Strafe drohte ihm jedoch in Form des Tadels durch den Lehrer, der jeden Montag nach den HJ relevanten Tätigkeiten am Wochenende fragte.
Dass es kaum möglich war Widerstand zu leisten, hatte Herr Dr. Heidecker den Jugendlichen bereits zuvor dargelegt. Jedoch wusste er auch davon zu berichten, dass man trotzdem Wege zur Äußerung des Unmutes suchte. So wurden sie eines Tages alle zu einer Kundgebung eines hohen Nationalsozialisten versammelt. Doch anstatt ihm zuzuhören, skandierten sie über eine Stunde lang den Ausruf „heil“. Auch wenn dem Redner und den beteiligten Personen dies als eine Art Sabotageaktion erscheinen musste, konnten sie die Jungen aus zweierlei Gründen, so Herr Dr. Heidecker, im Nachhinein nicht bestrafen. Zum einen waren sie zu viele Jugendliche gewesen und zum anderen hatten sie ja laut ihrer Aussage nach nur ihre Begeisterung für den Führer Adolf Hitler zum Ausdruck gebracht.
In der Hitlerjugend kam Herr Dr. Heidecker dann zum Verband der Scheren. Diese waren eine Art Sanitätsabteilung. Andere Jugendliche gingen entweder zur Motor, der Flieger oder der Marine HJ. Alle Abteilungen sollten die Jugendlichen auf eine spielerische Art auf den zukünftigen Kriegseinsatz und den Kampf vorbereiten. Für Herrn Dr. Heidecker war diese Abteilung ein Glücksgriff, denn da er der einzige mit dieser Qualifikation war, konnte er sich die Einsätze selbst einteilen. Auf diese Weise konnte er sich den allgemeinen HJ Schulungsveranstaltungen noch mehr entziehen.
1943 dann wurde er als Flakhelfer zur Abwehr feindlicher Flieger nach Stettin abgeordnet. Dort erhielt er auch noch weitestgehend geordneten Unterricht, was ihm nach dem Krieg sehr helfen sollte. Der Lehrer, den er als einen seiner besten im gesamten unterrichtlichen Werdegang bezeichnete, stellte ihm am Ende der gemeinsamen Zeit nämlich die allgemeine Reife aus. Dieses Dokument, das seine Mutter während den Wirren der Flucht aus Schlesien am Kriegsende zusammen mit seinen übrigen Zeugnissen retten sollte, ermöglichte ihm nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft die Aufnahme eines Medizinstudiums. Ohne diese Zeugnisse wäre dieser Weg ihm womöglich verwehrt geblieben.
Anfang 1945 wurde er dann zum Militärdienst eingezogen. Die daran anschließenden Monate sollten sehr chaotisch werden. Nach nur drei Wochen, in denen die Jugendlichen an Gewehren und Geschützen ausgebildet worden waren, sollten sie schon in den Einsatz. Man schickte sie von einem Ort zum anderen ohne einen genauen Plan. Das viele Marschieren in nicht passenden Stiefeln führte dazu, dass Dr. Heidecker kaum noch laufen konnte. Daher war er erleichtert, als er eines Tages auf ein Pferdefuhrwerk klettern konnte, um somit seine Füße zu entlasten. Die Freude über die Erleichterung sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein, denn plötzlich sah er von weitem eine Gruppe von amerikanischen Tieffliegern auf einen entlang der nahgelegenen Straße marschierenden Treck von Soldaten und Flüchtlingen zusteuern. Während sich seine Kameraden in die umliegenden Gräben warfen, verharrte er wie in Schockstarre auf dem Pferdewagen. Plötzliche scherte einer der Flieger aus und steuerte in direkter Linie auf ihn zu. Herr Dr. Heidecker blickte geradewegs in die Maschinengewehre des Flugzeuges. In diesem Moment war er sich eigentlich sicher zu sterben. Er haderte noch mit seiner Entscheidung nicht auch in den Graben gesprungen zu sein, als das Flugzeug das Feuer auf ihn eröffnete. In diesem Moment hörte er laut und deutlich die biblischen Worte „Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen“. An seinem Arm spürte er gleichzeitig den Hauch einer Patrone, die am oberen Ende seiner Uniform wieder austrat. Als er die Augen wieder öffnete, war das Flugzeug schon abgedreht und ihm nichts geschehen. Die dem Wagen angespannten Pferde hingegen, waren von den Salven der Maschinengewehre durchlöchert worden. Für Herrn Dr. Heidecker war diese Erfahrung der Beweis für die Existenz Gottes gewesen, der ihn durch die biblischen Worte vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.
Die letzten Schüsse, die er im Krieg abfeuerte, wird Herr Dr. Heidecker ebenfalls niemals vergessen. Diese waren das Ehrensalut für von den Amerikanern erschossene deutsche Soldaten. Diese hatten die Amerikaner als Vergeltung für einen deutschen Angriff aus dem Hinterhalt hingerichtet. Unter ihnen befand sich auch ein Dr. Heidecker bekanntes Brüderpaar. Noch heute, das konnten die Jugendlichen an seiner Stimme einige Male im Verlauf der Ausführungen  erahnen, nehmen diese Erfahrungen den Zeitzeugen emotional sehr mit.
Am Ende des Krieges, genauer gesagt am Tag der Kapitulation am 8. Mai, kam Herr Dr. Heidecker dann in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Zuvor hatte man ihm alles was er noch in seinen Taschen oder im Rucksack hatte abgenommen. Er besaß noch nicht einmal mehr ein zweites Paar Unterwäsche und es sollten über 8 Wochen vergehen bis er diese wieder wechseln konnte. Die Zustände auf den sogenannten Rheinwiesen, wo 1945 tausende Soldaten zusammengepfercht waren, beschrieb er als schrecklich.
Ein zweites für ihn und seinen Glauben an Gott wichtiges Ereignis ereignete sich nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft. Er hatte sich in der Hoffnung seine Mutter zu treffen nach Süddeutschland begeben. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt seines Wissens nach in der sowjetischen Zone. Daher hatte er die Hoffnung auf ein baldiges Zusammentreffen mit ihm aufgegeben. Als er dann nach Regensburg kam, um von dort aus weiter seiner Mutter entgegen zu reisen, konnte er seinen Augen nicht glauben, als ihm seine Eltern begegneten. Es dauerte sogar eine Weile bis er seinen Vater als solchen erkannte. Das Schicksal hatte es seinen Eltern noch einmal ermöglicht, sich trotz der aufkommenden Streitigkeiten zwischen den Siegermächten und den generellen chaotischen Umständen der unmittelbaren Nachkriegsmonate zu treffen. Wäre Herr Dr. Heidecker wenige Minuten später in Regensburg angekommen, hätte er seinen Vater verpasst. Auch dieser schier unglaubliche Zufall bestärkte ihn in seinem Glauben.
Nach annährend 3 Stunden beendete der Zeitzeuge seine Ausführungen. Die anwesenden Schüler hatten ihm während der gesamten Dauer seines Berichtes mit großem Interesse zugehört. Wie gefesselt sie von seinen Schilderungen waren, zeigten auch die vielen tiefergehenden Fragen, die ihm noch gestellt wurden. Hiervon sei nur eine hervorgehoben. Eine Schülerin wollte von Herrn Dr. Heidecker wissen, wie er nach dem Krieg die traumatischen Erlebnisse verarbeitet habe. Der Zeitzeuge erwiderte daraufhin, dass auch dabei ihm sein Glaube an Gott half. Ohne diesen hätte er wohl ein normales Leben nicht mehr führen können.
An diesem Punkt sei auch Herrn Gundlach vom Arbeitskreis Jüdisches Bingen recht herzlich gedankt, der diese Begegnung mit Herrn Dr. Heidecker im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Geschichts-AG ermöglicht hatte.
Alle am Gespräch beteiligten Schüler werden die Ausführungen Herrn Dr. Heideckers definitiv nicht mehr vergessen und für sich hoffentlich wichtige Rückschlüsse in der Zukunft ziehen.

Herr Ignacy Golik

Eine unvergessliche Erfahrung durften die Schüler der 9. Und 10. Jahrgangsstufe der Rochus- Realschule Bingen machen. Sie trafen in den Räumlichkeiten der Realschule mit einem Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau aufeinander.
Herrn Ignacy Golik, der heute 97 Jahre alt ist, wurde am 16. Januar 1922 in Warschau geboren und musste dort den Einmarsch der deutschen Wehrmacht nach dem Überfall auf Polen mitansehen. Für ihn als siebzehnjährigen stand jedoch fest, dass man Wiederstand gegen die deutsche Besatzung leisten musste. Daher schloss er sich dem polnischen Widerstand an und war u.a. beteiligt an der Herstellung und dem Verteilen von Flugblättern. Bereits 1941, so berichtete er den Schülern, wurde er jedoch schon von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und ins berüchtigte Pawiak-Gefängnis gebracht. Neben ihm wurden auch noch sein Bruder und dessen Frau sowie deren Mutter von den Nazis verhaftet.
Nach kurzer Verweildauer im Gefängnis, brachte man ihn ins Vernichtungslager Auschwitz. Dort registrierte man ihn mit der Nummer 9.898, die man ihm auf den linken Unterarm tätowierte. Da er deutsch sprach, wurde er einem Kommando zugeteilt, das im Krankenrevier SS-Angehörige versorgte. Nach zwei Jahren Aufenthalt im Lager, wurde Ignacy Golik ins Lager Sachsenhausen nach Berlin verlegt. Dies geschah, da die Rote Armee immer weiter im Osten an Boden gewann. Nach einem kurzen Aufenthalt in dem Lager, aus dem die SS die Mordaktionen in allen Lagern der Nationalsozialisten koordiniert hatte (die Zentrale lag in Oranienburg), brachte man ihn in ein Nebenlager des Frauenlagers Ravensbrück. Hier im Lager Barth musste er Flugzeugteile für die Firma Heinkel herstellen. Dabei war der Hunger eine schlimmere Bedrohung als die Wärter, die noch in Auschwitz eine ständige Todesangst ausgelöst hatten. Der Hunger war so groß, dass er bei seiner Befreiung nur noch 42 Kilogramm wog.
Die Befreiung erlebte er jedoch nicht im Lager selbst, da die Nazis die Insassen noch kurz vor ihrer Befreiung auf einen Todesmarsch schickten. Dabei wurde jeder, der mit dem Tempo nicht mehr Schritt halten konnte und hinter die Marschkolonne zurückfiel, erschossen. Doch auch dieses letzte Martyrium sollte Ignacy Golik überstehen. Nach der Befreiung durch die Rote Armee in der Nähe von Rostock führte es ihn endlich wieder zurück in seine Heimatstadt Warschau.
1964 sollten ihn die Ereignisse der Jahre vor 1945 jedoch noch einmal vollends einholen. Durch seinen langen Aufenthalt im Lager Auschwitz, er war ja schließlich schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt dort eingesperrt worden, war er zu einem äußerst wichtigen Zeugen im Rahmen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, der im Jahr 1964 stattfand, geworden. Durch seine Aussagen half er dabei die grausamen Verbrechen der Nationalsozialisten mit aufzudecken und einige der Verbrecher ihrem gerechten Urteil zuzuführen.
Nach den Prozessen arbeitete Ignacy bis 1988 als Journalist weiter und machte es sich zur Aufgabe junge Menschen von seinem Schicksal zu berichten und sie vor den Gefahren diktatorischer Regime zu warnen.
Die anwesenden Schüler waren von seinen Ausführungen gefesselt und hörten ihm andächtig zu. Ihre Meinung im Anschluss an das Gespräch war demgemäß einhellig, indem sie feststellten, dass sich eine solche Grausamkeit unter keinen Umständen mehr wiederholen darf.

Frau Szepesi

Frau Szepesi (geb. Diamant), wurde 1932 in Budapest geboren. Sie stammt aus einer jüdischen Familie. Ihr Vater hatte ein Textilgeschäft. Ihre frühe Kindheit war wohlbehütet, bis sie die ersten Diskriminierungen erlebte.
Der Vater wurde 1942 in ein Arbeitslager geschickt, später kam die Nachricht, er sei „verschollen“. Ihre Mutter schickte die Tochter mit falschen Papieren mit einer Verwandten in die Tschechoslowakei, um sie zu retten. Dort kam sie zunächst in verschiedenen Familien illegal unter und wurde schließlich  1944 – Eva war 12 Jahre alt – nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte, weil sie sich als 16-jährige ausgab.
Im Januar 1945 wurde sie von der russischen Armee  befreit, nachdem die Nationalsozialisten sie zum Sterben im Lager zurückgelassen hatten (sie war zu schwach für den Todesmarsch).
Erst im September – nachdem sie in verschiedenen Lagern im Osten war – kam sie zurück nach Budapest und erfuhr vom Tod der Mutter und des jüngeren Bruder. Sie lebte bei Verwandten, besuchte die Schule und heiratete 1951. Durch die Tätigkeit Ihres Mannes kam sie in den 50er Jahren nach Deutschland. Seitdem lebt sie in Frankfurt.
Sie schwieg 50 Jahre lang. Selbst ihre Kinder wussten zunächst nichts von den schrecklichen Erlebnissen ihrer Mutter.
Ihre Enkel waren es, die sie darum baten, von den schrecklichen Erlebnissen zu berichten.