Reinigung der Stolpersteine durch Rochus-Schüler

Am 27. Januar 1945 wurde das Lager Auschwitz-Birkenau, dessen Name wohl mehr als alles andere für die Grauen und Verbrechen der Nationalsozialisten steht, von der Roten Armee befreit. Zuvor hatten die SS Schergen noch tausende Menschen auf Todesmärsche und wiederum andere zum Sterben im Lager zurückgelassen. Der Tag der Befreiung des Lagers sollte später dann zum offiziellen Erinnerungstag an die Opfer der Naziherrschaft werden. Um die Geschehnisse von damals nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und ein aktives Zeichen gegen neuerlichen Rassismus und Antisemitismus zu setzen, begaben sich einige Schüler der Geschichts-AG an die ehemaligen Wohnhäuser jüdischer Binger-Bürger, um die dort zu ihrem Gedenken verlegten Stolpersteine zu reinigen. Außerdem besuchten sie zusammen mit Herrn Gundlach vom Arbeitspreis jüdisches Bingen die frühere Synagoge in der Rochusstraße und erfuhren dort so einiges über die Geschichte der jüdischen Gemeinde. 

Bei der Reinigung der Stolpersteine, begaben sich dieses Mal zunächst gezielt nach Büdesheim, wo sie die Stolpersteine der Familie Bermann reinigten. 

Die Familie lebte früher in der Burgstraße. Amalie Bermann, die Großmutter der Familie, hatte ihr gesamtes Leben in Büdesheim verbracht. Sie wurde schließlich im Alter von 85 Jahren ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort dann auch ermordet. Als Todesursache wurde Altersschwäche vermerkt.

Ihr Sohn Felix hatte sich beharrlich geweigert Deutschland zusammen mit seiner Frau zu verlassen, da er seine Mutter nicht zurücklassen wollte. Er wurde zusammen mit seiner Frau Delphine bereits vor seiner Mutter im März 1942 ins Ghetto nach Lublin deportiert, wo beide ermordet wurden. 

Ihre Kinder Alice, Nelly, Karl und Herta hatten es glücklicherweise geschafft ins Ausland zu fliehen. Alice ging nach England und wurde Krankenschwester. Die anderen Enkel emigrierten nach Palästina, wo sie ihr gesamtes Leben verbringen sollten. 

Von der abenteuerlichen Flucht von Felix Bermann, erfuhren die AG Schüler ebenfalls in der Vorbereitung auf die Reinigung der Stolpersteine.

Felix Bermann befand sich zur Zeit der damaligen dramatischen Geschehnisse zu Besuch bei seinen Eltern in Bingen, da er im Rahmen der „Hachschara“ schon seine Vorbereitungen absolvierte, um Deutschland in Richtung Palästina zu verlassen. 

Von den folgenden Geschehnissen berichtete er in seinen später angefertigten Aufzeichnungen: 

„Als meine Freunde in Bingen hörten, dass ich zu Hause war, besuchten sie mich. Die meisten waren, wie ich, Sportler. Wir freuten uns alle sehr über das Wiedersehen und verbrachten viele gemeinsame Stunden bis in die späte Nacht. Eines Abends bot ich einem Mädchen an, es nach Hause zu begleiten. Auf dem Rückweg lauerte mir in der Nähe unseres Hauses eine Gruppe der Hitlerjugend auf, um mich zu verprügeln. Um mich zu wehren, zog ich meinen Militärgürtel mit Eisenschnalle aus der Hose und schlug damit zurück. 

Die Schnalle verletzte einen der Angreifer, der zu bluten begann. Ich nutzte diesen Überraschungsmoment aus und machte mich so schnell wie möglich davon. Zuhause angekommen erzählte ich kein Wort von diesem Vorfall und ging schlafen. Um 5 Uhr morgens klopfte es an der Tür. 

Meine Eltern standen erschrocken auf. Vor ihnen stand der Leiter der Binger Polizei – ein ehemaliger Klassenkamerad meines Vaters – im Pyjama! „Wo ist Karl?“ fragte er. „Er schläft“, antwortete mein Vater. „Ich habe einen Haftbefehl gegen ihn, weil er ein Mitglied der Hitlerjugend blutig geschlagen hat und dieser ärztliche Hilfe benötigte.“ Meine Eltern waren fassungslos und entsetzt. „Aus Rücksicht auf euch werde ich ihn jetzt nicht festnehmen, aber ich schlage vor, dass er die Stadt so schnell wie möglich verlässt“, sagte er. Meine Eltern weckten mich auf. Ich sah, wie besorgt sie waren. „Was ist geschehen, Karl?“ fragte mich mein Vater, „der Leiter der Binger Polizei war da. Er wollte dich verhaften. Er hat uns von den Ereignissen der Nacht berichtet“. „Du darfst nicht hierbleiben“, sagte meine Mutter, „wenn sich der Sturm beruhigen wird und sich die Zeiten wieder ändern, kannst du zurückkommen.“. 

Karl sollte seine Eltern nie wieder sehen. Er verließ seine Heimat Bingen noch in der folgenden Nacht gegen 3 Uhr morgens in einem Zug in Richtung Dänemark. Sein Vater hatte ihm in kürzester Zeit ein Einreisevisum besorgt. In Dänemark sollte er dann seine Ausbildung bei der Hachschara beenden, um schließlich im Februar 1938 von Triest aus mit einem Schiff namens Jerusalem nach Haifa in Israel zu fahren. 

Abschließend begaben sich die Schüler noch in die Saarlandstraße. Dort wurden die Stolpersteine der Geschwister Sigfried Feist, Jenny Kaufmann, Klara Feist und Mathilde Feiste gesäubert. Die Geschwister wurden während des Holocaust deportiert und ermordet. 

Im kommenden April werden sich die Schüler der AG selbst auf eine fünftägige Gedenkreise nach Krakau begeben und vor Ort an die Opfer des Holocaust, aber insbesondere auch der deportierten jüdischen Bürger Bingens gedenken.