Studienfahrt 2025 der Geschichts-AG der Rochus-Realschule mit Fachoberschule nach Krakau
Insgesamt 18 Schüler der Geschichts-AG der Rochus-Realschule Bingen begaben sich von Donnerstag, den 03.04.2025, bis zum Montag, den 07.04.25, auf eine Studienfahrt nach Krakau. Zentraler Bestandteil der Studienfahrt war dabei der Besuch der Gedenkstätte des früheren Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.
Nach einem rund 90-minütigen Flug, landete die Gruppe am Flughafen in Kattowitz. Von dort aus ging es mit einem Bustransfer in die Unterkunft nach Krakau. Das Hostel lag dabei direkt am Rande des früheren jüdischen Viertels Kazimierz. Dieses trägt den Namen eines der bekanntesten polnischen Könige. Gemeint ist damit Kazimier der III., der während seiner Regierungszeit den europäischen Juden einen Zufluchtsort anbot und damit vielen Verfolgten Schutz gab. Noch am ersten Tag begaben sich die Schüler zu vielen Sehenswürdigkeiten, wie etwa der Marienkirche, der Tuchhalle und einer der ältesten Universitäten Europas, der Jagiellonenuniversität. Besonders beeindruckt waren sie von der Größe der Marienkirche, die von außen durch ihre zwei unterschiedlich großen Türme aufwartete. Im Inneren erblickte die Gruppe dann den monumentalen Holzaltar des weltberühmten mittelalterlichen Künstlers Veit Stoß. Wie während der gesamten Fahrt, schlüpften die Schüler an wichtigen Plätzen in die Rollen von Tourguides, indem sie ihren Mitschülern durch zuvor in der wöchentlichen AG vorbereitete Referate, die wichtigsten Informationen übermittelten. Dies taten sie auch auf dem Wawelberg, wo neben den berühmten polnischen Königen auch der deutsche Hans Frank im Mittelpunkt stand. Dieser führte von der Wawelburg aus zwischen 1939 und 1944 als sogenannter Generalgouverneur ein Schreckensregime, indem er tausende Todesurteile verabschiedete. Abschließend erkundete die Gruppe noch den riesigen Marktplatz Reynek, der mit einer Fläche von 40.000 Quadratmetern zu einem der größten mittelalterlichen Marktplätze Europas gehört.
Am zweiten Tag stand dann das jüdische Krakau im Fokus. So begaben sich die Schüler zur alten Synagoge im Stadtteil Kazimierz. Dort erfuhren sie von den Plünderungen und Zerstörungen, die besonders an diesem Ort mit dem Einmarsch der Wehrmacht im Jahr 1939 begannen. Einen Eindruck vom rücksichtslosen Vorgehen, besonders der Einsatzgruppen und der SS, hatten die AG Schüler bereits durch die Behandlung des Films „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg im Unterricht erhalten. Vor Ort begaben sie sich dann auch an original Drehorte des Films, wie etwa den Platz Szeroka oder eine der im Film zu sehenden Seitenstraßen. Auch der Besuch der Remuh-Synagoge stand auf dem Programm. Dort traf man dann auf einige israelische Jugendgruppen, die den Besuch der Synagoge zum Anlass eines lautstarken und freudigen Gottesdienstes nutzten. Die Schüler waren sehr von der Lebhaftigkeit und der Hingabe der Jugendlichen begeistert. Für den Großteil der Binger-Gruppe war es der erste Kontakt mit der jüdischen Kultur außerhalb des Schulunterrichts. Auf dem Friedhof der Remuh-Synagoge besichtigte man dann die sogenannte „kleine Klagemauer“. Dabei handelt es sich um eine aus jüdischen Grabsteinen bestehende Mauer, die sich um den eigentlichen Friedhof erstreckt. Die Grabsteine wurden im Anschluss an die Befreiung Krakaus im Jahr 1945 dort auf dem völlig von den Nazis verwüsteten Friedhof gefunden und dann in einer neuerrichteten Mauer integriert.
Gegen Nachmittag dann machte sich die Gruppe auf den Weg zur früheren Fabrik des deutschen Unternehmers Oskar Schindler. Dabei überschritt man die Weichsel und kam zunächst zum Platz Zgody im Stadtteil Podgorze. Dort hatte man die noch in Krakau befindliche jüdische Bevölkerung im Jahr 1941 in einem errichteten Ghetto zusammengepfercht. Die Familien mussten dabei auf engstem Raum ohne jegliche Privatsphäre zusammenleben. Schließlich wurden sie, nachdem zuvor bereits viele Selektionen und Deportationen stattgefunden hatten, bei der Auflösung des Lagers 1943 nach Auschwitz oder ins nahegelegene Konzentrationslager Plaszow verschleppt. In all dem Elend und der Grausamkeit gab es jedoch, so erfuhren die Schüler vor Ort, auch noch Menschlichkeit. Sehr beeindruckt zeigten sie sich demgemäß vom Handeln des Apothekers Tadeusz Pankiewicz, der die Nationalsozialisten bei der Errichtung des Ghettos hatte davon überzeugen können, dass es wichtig sei, ihn und seinen Vater als Apotheker im Ghetto zu belassen. Ihre Apotheke sollte für die Verzweifelten zu einem Ort der Hoffnung werden. Neben Medikamenten erhielten die Menschen hier auch Nahrungsmittel und sogar Schutz. So konnte sich ein 17 jähriges Mädchen vor den Deportationen retten, indem sie vom LKW sprang und im Geschäft des Apothekers, diese trug den Namen Adlerapotheke, Unterschlupf fand.
Noch mehr von den damaligen Geschehnissen sollten die Schüler dann in einer Art Veranstaltungssaal der früheren Emaillewarenfabrik von Oskar Schindler erfahren. Dort trafen sie auf die 93-jährige Niusia Horowitz, die als eine der 1200 „Schindlerjuden“ den Holocaust überleben sollte. Frau Horowitz berichtete den gebannt zuhörenden Schülern von ihrem Schicksal. Zunächst hatte die Familie vor der herannahenden Wehrmacht die Flucht ergriffen. Da der fünfjährige Bruder jedoch in Krakau zurückbleiben musste, entschloss sich die Familie zurückzukehren. Aufgrund ihres jüdischen Glaubens waren sie sofort den Repressalien der Besatzer ausgesetzt. So wurden sie nach einer kurzen Zeit dazu aufgefordert, ihr Zuhause in Kazimierz zu verlassen und in das von den Nazis jenseits der Weichsel errichtete Ghetto Podgorze umzusiedeln. Von dieser Zeit konnte sich die Zeitzeugin noch besonders an die Enge und den rauen Umgangston der deutschen Soldaten erinnern, die sie und ihre Leidensgenossen oftmals als „Schweine“ bezichtigten. Ein weiteres einschneidendes Ereignis für Frau Horowitz war dann die Verlegung ins Lager Plaszow. Dort führte der grausame Kommandant Amon Göth sein Regime. Er machte sich, so die Zeitzeugin, einen Spaß daraus, von seinem Balkon auf die Lagerinsassen zu schießen. Während der Zeit im Lager hielten die Eltern Niusia versteckt, da eigentlich keine Kinder im Lager sein sollten. Sie waren aufgrund ihrer körperlichen Beschaffenheit für die Arbeiten einfach unbrauchbar und in den Augen von Amon Göth und seinen Schlächtern unnütz. Daher wurde sie auf einem kleinen Dachboden einer Arbeitsbaracke versteckt. Von dort aus konnte sie eines Tages durch einen kleinen Spalt die Ankunft von neuen Lagerinsassen beobachten. Diese wurden an den Rand einer Grube hinter besagter Baracke gebracht und dort erschossen. Anschließend wurde die Grube mit Erde zugeschüttet.
Als einer der Schüler sie auf Oskar Schindler ansprach, hellte sich die Miene der Zeitzeugin umgehend auf. Sie berichtete, dass sie noch heute ein Bild ihres Retters über dem Bett habe. Schindler habe sie und ihre Familie durch die Beschäftigung in seiner Fabrik gerettet. Alleine aus ihrer Familie haben so 14 Personen überlebt. Trotz des Einsatzes von Oskar Schindler wäre das Leben der Zeitzeugin beinahe kurz vor der Befreiung zu Ende gewesen. In Anbetracht der herannahenden Roten Armee, hatte Oskar Schindler 1944 erwirkt, seine Maschinen in ein neues Fabrikgebäude nach Brünnlitz zu verlegen. Das Lager Plaszow wurde aufgelöst und die „Schindlerjuden“ getrennt nach Frauen und Männern mit Zügen abtransportiert. Während die Männer regulär den Weg gen Westen antraten, wurde der Frauentarnsport versehentlich nach Osten geleitet. Zielort dabei war das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dort angekommen, wusste Niusia nicht, wo sie war. Aus der Perspektive eines gerade mal zwölfjährigen Kindes, war die Mordmaschinerie der Nazis nicht erkenntlich. Während ihres rund dreiwöchigen Verweilens in Auschwitz, wurde sie zwei Mal für den Weg in die Gaskammern selektiert. Beide Male schaffte man es, sie durch Bestechung der Aufseherinnen aus der Reihe herauszubekommen. Schließlich sollten sich die Bemühungen Schindlers auszahlen und auch der Transport der Frauen kam in Brünnlitz an.
Am Ende des rund zweistündigen Gesprächs waren die Schüler tief beeindruckt und verließen die Räumlichkeiten der Schindlerfabrik mit einer sehr prägenden Erfahrung.
Am nächsten Tag stand dann der Besuch der Gedenkstätte des früheren Vernichtungslagers Auschwitz auf dem Programm. Von diesem Besuch wusste eine der beteiligten Schülerinnen im Anschluss folgendes zu berichten:
Am 05.04.2025 waren wir, die Geschichts-AG der Rochus Realschule plus, in der Gedenkstätte Auschwitz. Dort sammelten wir viele eindrucksvolle und bewegende Eindrücke. Morgens starteten wir gemeinsam mit unseren Lehrern Richtung Auschwitz (Oświęcim), wo sich die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrations -und Vernichtungslagers der Nationalsozialisten befindet.
Nachdem wir angekommen waren, empfing uns unser Guide für die Zeit des Aufenthalts. Wir haben unsere Headsets bekommen, wurden über die Regeln belehrt und anschließend durch Auschwitz I. (Stammlager) und später durch Auschwitz-Birkenau (Lager II.) geführt.
Während der mehrstündigen Führung erzählte sie uns, unter welchen grausamen Bedingungen die Menschen dort leben, leiden und sterben mussten. Besonders erschüttert waren wir über die Baracken, die Gaskammer im Stammlager und die persönlichen Gegenstände der Opfer – wie etwa Kinderkleidung, Schuhe, Prothesen oder Brillen. Während der Führung war es ganz still. Niemand hat geredet. Wir fühlten uns wie in Trance, gefangen in dem erschütternden Gefühl, das dieser Ort mit sich bringt.
Im Anschluss an den Besuch führten wir im Hostel eine Nachbesprechung durch, bei der jeder die Gelegenheit hatte, über seine oder ihre Gefühle zu sprechen. Dabei wurde deutlich, wie wichtig dieser Ausflug für unser historisches Verständnis und unsere persönliche Entwicklung war. Uns wurde bewusst, dass dieses Thema niemals in Vergessenheit geraten darf und wir in der Zukunft unseren Beitrag dazu leisten können und müssen, dass sich solch grausamen Ereignisse nie wieder wiederholen.
Ein weiterer, sehr bewegender Moment war, als die Schüler an der Stelle der früheren Gaskammer III. des Lagerteils Auschwitz-Birkenau die Namen der aus Bingen deportierten Einwohner verlasen, die in Auschwitz ermordet wurden. In Vorbereitung auf die Fahrt hatten die Gruppe in der AG 14 Personen namentlich recherchiert und aufgeschrieben. Überdies lasen die Schüler die Geschichte von Lotte Brück aus Bingen vor. Lotte war mit Teilen ihrer Familie in die Niederlande geflohen, um sich dort auf ihre Ausreise nach Israel vorzubereiten. Bevor sie jedoch ihre Pläne umsetzen konnte, wurde sie 1942 auf eine Transportliste gesetzt. In der Hoffnung, ihre Mutter, die bereits wegtransportiert worden war, zu finden, folgte sie dem Aufruf.
Ihr Cousin Bernhard Natt, er verblieb in den Niederlanden und überlebte, versuchte sie davon abzuhalten. Er formuliert es so:
Eine der ersten, die einen solchen Anruf erhielt, war meine Cousine Lotte Brück. Ihre Mutter, meine Tante Lili, war kürzlich von ihrem Zuhause in Bingen am Rhein, Deutschland, an einen weit entfernten Ort in Polen oder Russland gebracht worden. Von dort hatte sie einige Briefe an Lotti geschickt. In diesen Briefen sagte sie, dass sie als Krankenschwester arbeite und dass die Umstände nicht so schlimm seien. Leider glaubte Lotti diesen Briefen und hoffte, dass sie ihre Mutter finden und bei ihr bleiben könnte, wenn sie dem Aufforderung Folge leisten würde. Deshalb nahm sie das Angebot der Niederländer, ihr beim Untertauchen zu helfen, nicht an. Sie wurde in den Osten gebracht und kehrte nie zurück, genau wie Tante Lili. Ich habe sie gesehen, bevor sie gegangen ist. Wir besprachen die Ereignisse, aber sie weigerte sich, ihre Meinung zu ändern.
Bruder Walter versuchte 1947 von Palästina aus über verschiedene Kanäle, wie die Gemeinde Bingen und das Rote Kreuz, das Schicksal seiner Mutter Lili und Lotte in Erfahrung zu bringen. Dies war aber ergebnislos.
Am letzten Tag besuchten die AG-Schüler dann nochmals die frühere Fabrik Oskar Schindlers. Im Fokus stand bei der Führung durch das Museum die Besatzungszeit ab 1939 und das Leiden der polnischen Bevölkerung. Die Schüler zeigten sich begeistert von der inhaltlichen Aufbereitung der Thematik. So gab es neben originalen Quellen aus der damaligen Zeit auch viele Filme und sogar Stationen, wo die Schüler selbst etwas anfertigen konnten (z.B. Karten mit Stempeln). Während des Rundgangs kamen sie auch zu der Treppe, die im Film Schindlers Liste Teil einer sehr bekannten Szene war. Im Film versuchte eine junge Frau Oskar Schindler davon zu überzeugen, ihre Eltern mit auf die lebensrettende Liste zu nehmen. Sie wurde dabei zunächst vom Pförtner abgewiesen, um dann bei einem neuerlichen Versuch, dieses Mal in einem sehr aufreizenden Kleid, doch zu ihm vorgelassen zu werden. Neben diesem Drehort, konnten die Schüler auch das frühere Büro des Fabrikanten betreten. Dort verfolgte er an einer großen Karte, die sich hinter seinem Schreibtisch befand, das Kriegsgeschehen.
Den Abschuss der fünftägigen Fahrt bildete dann der Besuch des Klezmer Hoiz im Stadtteil Kazimierz. Dort gab es neben einem Zweigangmenü die Möglichkeit, typisch jüdischer Klezmermusik zu lauschen.
Am nächsten Tag ging es dann im Anschluss an das Frühstück zum Flughafen und von dort aus zurück nach Deutschland. Die Schüler, dies zeigten die abendlichen Rückmeldungen im Hostel, haben während des Aufenthalts viel über die deutsch-polnische Geschichte und die daraus resultierende Verantwortung gelernt. Für sie war eine Erkenntnis des Aufenthalts ganz deutlich geworden: „Nie wieder dürfen sich solche Geschehnisse wiederholen und ein jeder kann und muss seinen Beitrag dazu leisten“.
Ganz besonders möchten sich die AG-Schüler und ihre begleitenden Lehrer noch bei den vielen Spendern bedanken, ohne die die Kosten der Fahrt den finanziellen Rahmen weit übertroffen hätten. Dabei handelt es sich um den Axel-Springer-Verlag, die Sanddorfstiftung, die Körber-Stiftung, den Arbeitskreis der Synagoge Laufersweiler um ihren Vorsitzenden Herrn Christof Pies, den Arbeitskreis Jüdisches Bingen um seinen Vorsitzenden Herrn Josef Gundlach und die zahlreichen Einzelspender.
Hier gelangen Sie zur Liste der Binger, die in Auschwitz-Birkenau ermordet wurden: